Mit Mike Rebien und Manfred Tiedemann ist eine tüchtige Crew schnell gefunden und dann geht es an die Vorbereitungen.
Die „Anita“ ist gebaut 1911, (im selben Jahr wie die Passat), genieteter Stahl, und irgendwann zum Wohnschiff umgebaut. Ein sogenannter „Katwijker“, 22,17m lang, 3,70 m schlank, Tiefgang 1,5m. Verdrängung 40 t, einen 6-Zylinder „PZL Mielec“ Dieselmotor mit 205 PS, Bugstrahlruder, elektrische Rudermaschine mit Joystick-Bedienung. Dazu ein Lister-Petter Hilfsdiesel, der einen Stamford Generator antreibt. Und 6 große Solar-Panels auf dem Ruderhaus. Wie das alles funktioniert und zusammenarbeitet mussten wir erstmal herausfinden.
Wie funktioniert die elektrische Anlage, das Ankergeschirr, das Tanksystem, die Bilgepumpen, was ist da an Sicherheitsausrüstung, ist das Schiff versichert, können die Möbel für die erste Fahrt außerhalb von Binnengewässern auch gelascht oder verkeilt werden und viele weitere Fragen. Auch die Frage, ob das ehemalige Binnenschiff – eingetragen im belgischen Binnenschiffsregister – überhaupt von einem deutschen Hafen aus auf die offene See fahren darf, spielte natürlich eine Rolle.
Am wichtigsten natürlich: Ist der Motor „gut dafür“? Und: ist die Steuerung zuverlässig? Als Segler verlässt man sich ja ungern nur auf die Maschine. Immerhin ist mit Manfred ein versierter Motormann dabei.
Die erste Probefahrt verläuft dann auch etwas chaotisch: das Ablegen geht noch ganz gut, aber dann lässt sich das Schiff zuerst kaum steuern. Bis wir herausfinden, dass das große Binnenschiffsruderblatt sich bei Hartruderlage auf 90° dreht und dann natürlich keine Steuerwirkung mehr hat. Den Joystick also mit Gefühl und ganz kleiner Dosierung bedienen, dann geht’s. Gleichzeitig läuft aber der Diesel heiß, Kühlwassertemperatur 100°! Also schnell zurück zum Liegeplatz. Aber schnell ist eben nicht so einfach bei 40 Tonnen und ohne Übung. Na, alles geklappt, nix kaputtgegangen und Allerhand dazugelernt. Das Kühlwasserleck haben wir gefunden, jetzt nur noch eine „richtige“ Probefahrt und dann aufs Wetter gucken. Es ist klar, dass wir nicht mehr als 4 Windstärken, egal aus welcher Richtung, riskieren wollen.
Am 27.2.23 sieht es gut aus, klar, kühl und wenig Wind. Ablegen um 10.00 und mit Kurs 60° auf das Verkehrstrennungsgebiet Kadetrinne zu. Alle Fahrzeuge über 20m Länge müssen dieses VTS benutzen, also auch wir. Mächtig viel Schiffsverkehr, aber bei guter Sicht und mit AIS keinerlei Probleme. Aber hatte ich doch schon auf der Nordsee mit meiner „Snowball“ die berühmte Freiheit der Meere vermisst: auf der Ostsee ist es gar nicht viel anders, derart viele Windparks und Baustellen für noch mehr Windmühlen muss man umkurven. Mit einem Motorschiff natürlich weniger ein Problem als unter Segeln. Trotzdem gut, dass wir zu dritt sind: Einer zum Steuern (wie erwähnt: mit Gefühl und in kleinen Dosen), einer zum Navigieren und Kollisionen verhüten und am wichtigsten ist der Mann mit dem Scheibenrakel: so schnell wie die Ruderhausverglasung beschlägt, kann man kaum wischen. Selbstgemachter Nebel sozusagen. Klar, einigermaßen warmes Ruderhaus, draußen kalte Luft.
Tja, was soll ich schreiben? Es hat alles gehalten, der Motor „never missed a beat“, das Wetter hätte besser nicht sein können, die Stimmung in der Mannschaft ausgezeichnet, zu Essen und Trinken hatten wir genug dabei, die Sonne ging fast wie in den Tropen wunderschön unter und wieder auf, dazwischen fantastischer Sternenhimmel und am Vormittag kommt Bornholm in Sicht. Vor Nexö empfing uns ein glücklicher Eigner schon auf See mit einem kleinen Boot und machte Fotos. Einlaufen, Festmachen, ein Bornholmer Bierchen zischen, Sachen packen und ab nach Rönne auf die Schnellfähre nach Ystad, Bus nach Trelleborg, dort auf die neue „Peter Pan“ und morgens am 1.3. wieder in Travemünde.
Travemünde nach Nexö, 175 sm, 26 Std., 45 Min. bedeutet einen Durchschnittsspeed von 6,5 kn.
Mission accomplished.
Hans Böbs